Modelle einer demokratischen Planwirtschaft

Partizipative Ökonomie (Hahnel/Albert)

Die Partizipative Ökonomie (auch Parecon genannt) ist ein Modell für eine postkapitalistische Wirtschaft, das im libertären Sozialismus wurzelt und Michael Albert und Robin Hahnel entwickelten. In einer partizipativen Wirtschaft sind die Produktionsmittel in gesellschaftlichem Besitz. Jeder Arbeitsplatz wird von den Arbeitnehmern selbst verwaltet, wobei jede:r Arbeitnehmer:in eine Stimme im Betriebsrat hat, der das höchsten Entscheidungsgremium des Betriebs ist. Im Rat legen die Arbeiter:innen fest, wie sie a) das Einkommen unter sich aufteilen und dabei Anstrengung berücksichtigen und b) die Aufgaben in einem ausgewogenen Verhältnis von befähigender und erfüllender Arbeit zusammenfassen ('balanced job complexes'), so dass jede:r das nötige Selbstvertrauen und Wissen hat, um an der betrieblichen Selbstverwaltung teilzunehmen. Betriebsräte sind Mitglieder von branchenweiten Verbänden.

Jeder Haushalt ist Mitglied im Verbraucherrat des Wohnviertels, in dem Entscheidungen über den kollektiven Konsum am Wohnort getroffen werden und in dem jedes Mitglied eine Stimme hat. Die Nachbarschafts-Verbraucherräte sind Mitglieder größerer geografischer Regionalverbände, in die sie rotierende und abrufbare Delegierte entsenden, um über Verbrauchsfragen zu entscheiden, die größere Bevölkerungsgruppen betreffen.

Jedes Jahr nehmen diese Arbeitnehmer- und Nachbarschaftsräte und ihre Verbände an einem dezentralen Planungsverfahren teil. Jeder Arbeitnehmer- und Verbraucherrat liefert Vorschläge, was er im kommenden Jahr zu produzieren oder zu konsumieren möchte. Diese Vorschläge führen zu Preisen, die in einem interativen Prozess über mehrere Runden aktualisiert werden, bis ein demokratisch akzeptierter Plan für den Jahresbeginn erreicht ist. Im Laufe des Jahres wird der Plan angepasst. Bei der Verfassung von längerfristigen Investitions- und Entwicklungspläne spielen nationalen Industrie- und Verbraucherverbände eine noch größere Rolle.

Weiterführend:
[en] Albert/Hahnel (2002): In Defense of Participatory Economics
[en] Future Histories Podcast (2022): S02E21 - Robin Hahnel on Parecon (Part 1)
[en] https://participatoryeconomy.org/

Cybersozialismus (Cockshott/Cottrell)

Der Cybersozialismus will durch den umfassenden Einsatz moderner Informationstechnologie eine demokratische zentrale Planung ermöglichen. Cockshott/Cottrell argumentieren, dass dank moderner Rechenleistung und miteinander verbundener Netzwerke eine stark zentralisierte Planung im Vergleich zu historischen Versuchen, etwa in der Sowjetunion, viel detaillierter, effizienter und umfassender sein kann. Darüber hinaus werden Elemente wie Arbeitszeitberechnung, Pseudomärkte für Konsumgüter und die Umsetzung direktdemokratischer Prinzipien eingeführt.

Weiterführend:
[en] Cockshott/Cottrell (1997): Value, Markets and Socialism
[dt] Future Histories Podcast (2019): S01E19 - Jan Philipp Dapprich zu sozialistischer Planwirtschaft

Amazon-Sozialismus (Saros)

Saros' Modell, das als "Amazon-Sozialismus" bezeichnet wurde, baut auf dem Parecon- Modell auf, allerdings mit einigen wichtigen Änderungen und einer stärkeren Nutzung moderner Informationstechnologie. Selbstverwaltete Betriebe veröffentlichen ihre Produkte auf einer digitalen Plattform, dem ‘General Catalogue’. In der Planungsphase vor der Produktion geben die Konsument:innen an von was sie wieviel konsumieren wollen. Auf Basis des erklärten Bedarfs bekommen die selbstverwalteten Betriebe “Punkte” zugeteilt, mit denen sie die notwendigen Produktionsmittel, Arbeiter:innen und Ressourcen einkaufen. Dieser Zyklus wiederholt sich und wird angepasst. Ein Expertengremium regelt dabei die Einbeziehung ökologischer Grenzen.

Weiterführend:
[en] Saros (2014): Information Technology and Socialist Construction, page 173-187
[en] Future Histories Podcast (2020): S01E31 - Daniel E Saros on Digital Socialism & the Abolition of Capital (Part 1)

Negotiated Coordination (Devine)

Devines Modell stammt aus der reformsozialistischen Tradition und möchte, im Gegensatz zur sowjetischen top-down-Planung, ein Gleichgewicht zwischen zentraler und dezentraler Ebene erreichen. Auf zentraler Ebene gewichtet die Gesellschaft in Form allgemeiner Pläne unterschiedliche, allgemeine Ziele (Konsum, Investition, Entwicklungsrichtung etc.). Die Umsetzung ist dezentral, die Betriebe handeln also relativ autonom. Sie entscheiden, wie sie produzieren, welche Vorprodukte sie kaufen und legen - abseits von einigen zentral festgesetzten Preisen - die Preise für ihre Produkte fest. So bleiben horizontale Marktbeziehungen erhalten, die Betriebe konkurrieren um Absatzmärkte und nutzen ihr lokales, implizites Wissen. Die unbewusste Herrschaft der “Marktkräfte” wird jedoch überwunden, denn die Investitionsfunktion ist vergesellschaftet und wird auf mehreren Ebenen, partizipativ geplant. Nicht der Erfolg in der Konkurrenz entscheidet darüber, welche Betriebe wachsen und welche schrumpfen, sondern ‚Negotiated Coordination Bodies‘ verteilen Investitionsmittel. In diesen Gremien finden direkte Verhandlungen und Koordination unter der Beteiligung von Repräsentant:innen aller von Investitionsentscheidungen betroffenen statt (bspw. Arbeiter:innen, Konsument:innen, Zuliefer:innen, lokale Gemeinden, etc.). Diese beurteilen die Leistungszahlen der Betriebe, ihre Innovationspläne, ihre ökologische und soziale Performance, etc. und entscheiden, über die Zuteilung von Mitteln.

Weiterführend:
[en] Pat Devine (2002): Participatory Planning Through Negotiated Coordination
[en] Future Histories Podacst (2022): S02E33 - Pat Devine on Negotiated Coordination

Multilevel Democratic Iterative Coordination (Laibman)

Laibmans Ansatz basiert auf der reformsozialistischen Tradition. Es betont ein Gleichgewicht zwischen zentralen und lokalen Entscheidungen und möchte den lokalen Unternehmen genügend Autonomie geben, um Probleme der Top-Down-Planung zu vermeiden, die im sowjetischen System auftraten. Ein Hauptziel ist die Integration von lokalem, implizitem Wissen in das Plansystem. Unter Einsatz moderner Informationstechnologie sieht es einen "demokratischen, iterativen Mehrebenen-Koordinationsprozess" vor. Das beinhaltet ständige Kommunikation, Anpassung und Konvergenz zwischen zentraler und lokaler Planung.

Auf zentraler Ebene setzt Laibmans Modell, im Gegensatz zu Devine auf mehr technische Mittel, statt auf direkte Verhandlungen, wie z.B. eine zentrale Preisfestsetzung, die externe Effekte berücksichtigt - im Unterschied zu Devine dürfen Betriebe nicht ihre Preise festsetzen. Außerdem gibt es Anreize für Unternehmen, die realistische und ambitionierte Planung belohnen. Betriebe formulieren Pläne, geben sie nach oben und werden mit den gesamtgesellschaftlichen Plänen abgestimmt - im Gegensatz zu Cockshott/Cottrell werden also nicht Outputziele zentral festgelegt, sondern vor allem Preise. Die Betriebe verkaufen ihre Produkte und können damit wieder Produktionsmittel einkaufen. Das Ziel ist, durch ein effektives Planungszentrum und zentrale Preisfestsetzung den lokalen Unternehmen einen stabilen Makro-Rahmen für effektive Planung zu bieten, die sowohl Makropläne als auch spezifische lokale Bedingungen berücksichtigt. Die zentrale Planungsbehörde wiederum profitiert von genauen Informationen, da lokale Unternehmen ein Interesse daran haben, zuverlässige Informationen an sie weiterzugeben und effizient zu planen und zu produzieren. Dies soll eine vorteilhafte Beziehung zwischen lokalen Unternehmen und der zentralen Planungsbehörde sicherstellen.

Weiterführend:
[en] David Laibman (2002): Democratic Coordination: Towards a Working Socialism For the New Century
[en] Future Histories Podcast (2022): S02E19 - David Laibman on Multilevel Democratic Iterative Coordination | Future Histories S02E19

Half-Earth Socialism (Vettese/Pendergrass)

Vettese/Pendergrass haben ein Modell entworfen, das dezidiert die Klimakrise und ökologische Fragen wie Biodiversität zum Ausgangspunkt nimmt. Ihr Modell könnte man als ökosozialistische zentral-kybernetische Planung bezeichnen. Auf einer zentralen Ebene - bei ihnen ein Weltparlament - werden demokratisch grundlegende Ziele bezüglich Emissionen, Energiemix, Energienutzung und Flächennutzung, im Hinblick auf gesellschaftliche Bedürfnisse und planetare Grenzen in natura festgelegt. Hierbei greifen Vettese/Pendergrass auch auf Neuraths Argumente gegen eine universelle Recheneinheit zurück, die bei Entscheidungen vielfältige, eigentlich nicht vergleichbare Optionen immer auf ‘einen Nenner’, wie bspw. Arbeitszeit oder Geld, bringen will.

Aus den zentralen Vorgaben ergeben sich für Individuen und Regionen bspw. Energie- und Emissionsrationen. Untere Ebenen, d.h. regionale Parlamente und lokale Betriebe, planen auf Basis dieser zentralen, jedoch für Regionen und Sektoren aufgeschlüsselte physischen Vorgaben. Dabei verfügen sie über ausreichende Entscheidungsbefugnisse, sodass auch lokales und bereichsspezifisches Wissen integriert wird. Vettese/Pendergrass beziehen sich auch auf die moderne Informationstechnologie und der Modellierung von Erdsystemen, die für eine ‘kybernetische Planwirtschaft’, in der es auch sehr viel lokale Autonomie gibt, nützlich seien. Half Earth Socialism heißt das Modell, da für wirklich nachhaltigen Artenschutz die Hälfte der Erde der Natur überlassen werden soll.

Weiterführend:
[en] Troy Vettese (2023): Ready Planner One
[en] Future Histories Podcast (2023): S02E18 - Troy Vettese and Drew Pendergrass

Commonismus (Sutterlütti/Meretz)

Meretz und Sutterlütti entwickelten dieses Modell auf Basis der Commonsforschung. Zentral ist die Abschaffung jeglichen Arbeitszwangs und die Verteilung “nach Bedürfnissen”, nur so, behaupten die Autoren, könnten die Probleme des Realsozialismus vermieden werden. In der Koordination ist der Ansatz sehr dezentral, es gibt keine Zentralinstanz und die Betriebe organisieren sich miteinander autonom. Verschiedene Gremien und Orte erarbeiten Lösungen für Konflikte, aber keine Institution besitzt Durchsetzungskraft, sondern die Betriebe und Betriebszusammenschlüsse entscheiden sich für Lösungen. Des Weiteren existiert keine zentrale Rechengröße, sondern eine Vielzahl von Hinweisen (Benötigte Arbeit/Produkte, Arbeitszeit, Ökologie, Arbeitszufriedenheit, etc.) erlauben den Betrieben kohärent zu wirtschaften.

Weiterführend:
[dt] Future Histories Podcast (2021): S01E47 Stefan Meretz zu Commonismus
[dt] Commonismus Website mit Videos und Texten

Arbeitszeitrechnung (Gruppe Internationaler Kommunisten)

Die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) steht in der Tradition des Rätekommunismus und leitet ihr Modell von klassischen Marxschen Texten ab. Sie betont Dezentralität und die Autonomie der Betriebe gegen die leninistische Zentralplanung. Statt einer geldförmigen Rechnungseinheit, wollen sie mit Arbeitszeit planen, dabei ist jede Stunde gleich viel wert, egal ob von Putzkraft oder Managerin. Produkte kosten dann ihre Arbeitszeit, bspw. ein Apfel 10 Minuten oder eine Maschine 400 Stunden. Diese Arbeitszeitrechnung soll das Verhältnis von Produzent:innen und Produkt entmystifizieren und transparent machen. Die Betriebe schlagen Pläne von unten vor und Branchenräte oder Zentralräte vergleichen und bewilligen diese Pläne. Zusätzlich legen alle Betriebe ihre Planung in einer “öffentlichen Buchhaltung” offen und können so kontrolliert und bewertet werden.

Weiterführend:
[de] Initiative demokratische Arbeitszeitrechnung